Ein großer Teil des stationären Vertriebs lässt Mitarbeiter weiter in Kurzarbeit und arbeitet mit eingeschränkten Öffnungszeiten. Das sei betriebswirtschaftlich nachvollziehbar, könnte aber gravierende negative Folgen haben, warnen Branchenprofis. Wer jetzt nicht voll am Start sei, werde langfristig Kunden verlieren.
60 bis 70 Prozent der stationären Reisebüros in Deutschland seien noch nicht wieder in dem Maße erreichbar, wie sie es vor Beginn der Coronakrise waren, sagt ein Manager aus der Veranstaltersparte, der die Vertriebslandschaft gut im Blick hat, im Gespräch mit Reise vor9. Das sorge bei Kunden für Frust. "Wer nachmittags um fünf ins Reisebüro will und vor verschlossenen Türen steht, kommt nicht am nächsten Tag wieder, sondern wandert zur Konkurrenz oder gleich ins Netz ab", vermutet er.
"Wenn irgend möglich, öffnen"
Auch RTK-Chef Thomas Bösl sagte jüngst im Gespräch mit dem Fachblatt FVW, von Verbraucherseite höre er die Klage, man habe ja versucht, im Reisebüro statt online zu buchen. Nur sei das Büro geschlossen gewesen. Bösl rät den Reisebüros, "jetzt Gas zu geben". Laut sein und auf sich aufmerksam zu machen, sei "wichtiger denn je". Ob deshalb Kurzarbeit beendet werde, sei "letztlich eine sehr individuelle betriebswirtschaftliche Entscheidung". Wenn irgend möglich, sollten Inhaber ihr Büro aber öffnen, mahnt Bösl. Wessen Personaldecke gering sei, der könne mit Beratung auf Termin oder Videoberatung bei den Kunden punkten, so der RTK-Chef und QTA-Sprecher.
Erreichbarkeit entscheidendes Kriterium
Detlef Schroer, Vertriebschef bei Schauinsland Reisen, glaubt, dass viele Reisebüros Chancen vergeben, wenn sie den aktuellen Nachfrageschub nicht nutzen, um den Betrieb wieder vollständig hochzufahren. Er sei derzeit im Rahmen der Roadshow seines Unternehmens viel unterwegs, um mit den Vertriebspartnern zu sprechen und sie zu überzeugen, dass es jetzt gelte, Kundschaft zu erhalten und neu zu gewinnen. Sowohl auf Veranstalterseite als auch im Vertrieb sei Erreichbarkeit das entscheidende Kriterium, um Marktanteile zu gewinnen.
Wer sich ausruht, erhält die Quittung
Der Vertriebsprofi räumt ein, dass auch bei Schauinsland Reisen das Serviceniveau noch nicht so sei, wie man es sich wünsche. Das liege einerseits am gestiegenen Informationsbedarf bei der Kundschaft. "Aber wir haben auch viel mehr Kunden direkt an der Strippe, weil sie ihr Reisebüro nicht erreichen."
Marija Linnhoff, Chefin des Reisebüroverbandes VUSR, drückte sich jüngst im Gespräch mit Reise vor9 gewohnt deutlich aus. "Wer jetzt nur nach staatlichen Hilfen schielt, statt Gelegenheiten beim Schopf zu packen, wird im nächsten Jahr die Quittung dafür kriegen", erklärte sie. Für das nächste Jahr rechne sie mit einer Pleitewelle unter denjenigen, die ihre Chance verpasst hätten.
Christian Schmicke
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